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Powerfrauen in meiner Familie

Gedanken zum Muttertag

Mit dem Muttertag ist es so ähnlich wie mit dem Wort Powerfrau - manche sind dafür, manche dagegen. Ich oute mich als Frau, die den Muttertag seit jeher für sinnvoll hält, doch über die Sache mit der Powerfrau musste ich zunächst nachdenken. Aus meiner Perspektive betrachtet, hat dieser Begriff nichts mit Macht, sondern mit Energie zu tun - auch Intelligenz schwingt da mit. Beides ist positiv. Es kommt, wie bei so vielen Dingen, darauf an, womit man ein Wort oder auch einen Feiertag assoziiert. Wenn ich “Powerfrau” höre, denke ich an die mutigen, klugen und starken Frauen in meinem Stammbaum: meine Urgroßmutter, Oma und Mutter. Rosa, Margarethe und Christine. Vermutlich hätte sich keine einzige von ihnen so bezeichnet. Doch sie waren es zweifellos - und der Gedanke an sie gibt mir in schwierigen Zeiten Kraft. Dann hoffe ich nämlich, ihre wundervollen Eigenschaften geerbt zu haben. Und damit hier nicht der Eindruck entsteht, ich schriebe über Göttinnen vom Olymp: Nein, das waren (und sind) Frauen, die sich nicht besonders wichtig nahmen und zupacken konnten. Sie hielten an Werten fest, die heute bei einigen vielleicht als altmodisch gelten, aber keineswegs lächerlich sind. Ich schreibe über diese beeindruckenden Frauen, weil ihre Lebensgeschichten auch für andere tolle Frauen stehen - Mütter und Powerfrauen. Vermutlich war ihre Stärke jedoch zugleich auch ein wunder Punkt.

RoSa

Meine Urgroßmutter sorgte in mehrfacher Hinsicht für Gegenwind, stellte unsinnige Regeln in Frage und setzte geschickt ihren Kopf durch - nicht für sich, sondern vor allem für andere. So war es zu ihrer Zeit zum Beispiel in ländlichen Gegenden üblich, dass Menschen die Straßenseite wechselten, wenn eine unverheiratete Schwangere ihnen auf dem Bürgersteig entgegenkam. Meine Urgroßmutter machte da nicht mit, sondern blieb sogar stehen und unterhielt sich mit denjenigen. Damals gab es viele ungeschriebene “Gesetze”, doch sie passte sich nicht der Masse an, sondern sah genauer hin und war eine Menschenfreundin. Ihre Ehe muss sich auf Augenhöhe abgespielt haben. Sowohl sie als auch ihr Mann waren starke Persönlichkeiten und galten als herzlich und verlässlich. Als grandiose Köchin wurde meine Uroma für Hochzeiten und andere Feste gebucht, leitete das jeweilige Küchenteam, war vierfache Mama und engagierte sich für andere Menschen. Ihr Mann war Ingenieur, bildete andere aus und hatte ebenfalls eine soziale Ader. Meine Urgroßmutter überlebte leider nicht nur die Liebe ihres Lebens, sondern auch einige ihrer Kinder. Denn während sie selbst den Krebs besiegen konnte, unterlag ihre Tochter, meine Oma, bereits mit Anfang 40 dieser Krankheit. Ihre Geschichte sah nämlich ganz anders aus und macht vielleicht auch die Kehrseite von Stärke deutlich.

Margarethe

Als junge Frau war sie auf dem besten Wege Karriere zu machen und arbeitete gerade in einer Schweizer Bank, als der Krieg sie nach Hause, zurück nach Deutschland, zog. Sie wollte in so gefährlichen Zeiten unbedingt ihren Eltern und Geschwistern beistehen. Eine mutige Entscheidung, aber vermutlich nicht die herausforderndste Zeit in ihrem Leben. Später, als Ehefrau eines charismatischen Mannes und dreifache Mutter, lebte sie in einem schicken Zuhause, hatte ein Telefon und Sachen, die damals kaum jemand besaß, doch ihr charmanter Mann war oft monatelang “beruflich” unterwegs und was niemand wusste: in Wahrheit war sie ganz allein für den Lebensunterhalt ihrer Kinder und die Miete der ach so schönen Wohnung zuständig. Auf dem Papier verheiratet, faktisch jedoch alleinerziehend war sie Vollzeit berufstätig, kümmerte sich um den Haushalt, die Kinder und erledigte …. alles. Selbstverzicht zum Wohle der Familie. Nun könnte man fragen, warum sie sich in ihrer Not nicht an die lieben Eltern gewandt hat. Dafür gab es wohl zwei Gründe. Sie wollte sie damit nicht belasten und sie war vermutlich zu stolz, um zuzugeben, dass ihre Eltern in Bezug auf ihren Ehemann von Anfang an recht gehabt hatten. Denn sie waren von dieser Verbindung nicht begeistert gewesen. Wie soll es einem da leichtfallen, der eigenen starken Mutter Schwäche zu gestehen? Als all das ans Licht kam, war meine Oma bereits schwer krank und ihre Mutter voller Kummer: “Kind, warum hast du mir das denn nicht anvertraut, ich hätte dir geholfen.” In der letzten gemeinsamen Zeit tat meiner Oma das Rebellische in ihrer Mutter gut. Während die Nonnen im Krankenhaus meiner Oma jeden Genuss verbaten, obwohl klar war, dass sie ohnehin in wenigen Tagen sterben würde, setzte sich meine Uroma über die Verbote hinweg und brachte ihrer Tochter das, worauf sie plötzlich so große Lust verspürte: eine Coca-Cola. Meine Oma starb in Frieden und ihr Mann sprach bis zu seinem Tod liebevoll und sehnsüchtig von ihr. Leider zu spät. Von meiner Oma habe ich jedenfalls meinen zweiten Namen, fühle mich ihr verbunden und denke seit meiner Jugend oft über sie nach. Sie muss Sorgen und Stress gehabt haben und wäre ohne diese Überlastung vielleicht gar nicht erkrankt oder hätte, wie ihre Mutter, den Krebs besiegt. Ich weiß, damals wäre eine Scheidung undenkbar gewesen, aber manchmal würde ich am liebsten in die Vergangenheit reisen und ihr sagen, dass sie sich so oder so eine neue Liebe gönnen soll und nicht immer nur stark sein, sondern auch mal an sich selbst denken muss! Pff, dann fällt mir jedoch wieder ein, dass ich selbst erst jetzt, mit fast 42 anfange zu lernen, mir Zeit für mich zu nehmen und mich zu fragen, was ich selbst eigentlich will. In dem Alter war es für sie bereits zu spät. Niemals würde ich die Lebenshärte, der meine Ahninnen ausgesetzt waren, mit meinem recht wohlbehüteten Leben vergleichen, aber jeder Mensch hat so seine Herausforderungen und mich einen mit diesen Frauen Leidenschaft und Liebe für die Familie sowie die Freude am Geben. Das trifft auf so viele von uns Müttern zu. Wer so tickt, muss jedoch auch irgendwo auftanken. Und da wären wir bei meiner Mutter.

Christine

Ich habe eine besondere Beziehung zu meiner Mutter, denn obwohl wir äußerlich nur die beeindruckende Körpergröße miteinander teilen, habe ich eine Extra-Dosis Energie sowie einige andere Eigenschaften von ihr geerbt, die man nicht auf den ersten Blick erkennt. Bis heute weiß ich jedoch nicht genau, wie sie Kraft tankt. Sie hat immer genug davon, um eine ordentliche Portion an mich abzugeben und mich in schwierigen Zeiten aufzubauen. Und egal wie fern ihr ein Thema ist - sie hört alle (nicht nur meine) Folgen von RUND UMS ECK und XIMPL CAST, liest nahezu alle meine veröffentlichten Texte und ist mein schärfster Kritiker. So war sie schon immer. Ich kann mit schonungsloser Ehrlichkeit rechnen, die zwar manchmal wehtut, aber mir im Endeffekt weiterhilft - und vor allem kann ich dadurch ihr Lob umso besser annehmen. Bereits bevor ich selbst Mutter wurde, habe mich gefragt, wie sie den Spagat zwischen Beruf, Familie und allem geschafft hat. Denn bei uns stand immer die Tür offen und nahezu täglich kamen Leute vorbei - ihre Freundinnen, die Nachbarschaft, Verwandte, mein Freundeskreis. Meine Mutter kochte für alle, erledigte Einkäufe, machte den Haushalt, hielt unser Zuhause tipptopp sauber und ordentlich, stärkte meinen Dad, hörte sich die Sorgen anderer Leute an, half ihnen weiter und was weiß ich, was sie sonst noch alles hinbekam. Als Teenager habe ich einmal miterlebt, wie sich eine Bekannte bei meiner Mutter ausweinte, weil ihre Tochter aus Liebeskummer einen (missglückten) Selbstmordversuch unternommen hatte. “Sie wird es wieder versuchen!”, schluchzte die verzweifelte Frau. Meine Mutter schlug vor, mit dem Teenager zu sprechen. Dann saßen sie bei uns in der Küche und ich durfte nicht rein. Was soll ich sagen, Jahre später erblickte das Mädchen von damals meine Mutter mitten in Koblenz, rannte als erwachsene Frau auf sie zu und umarmte sie: “Danke, Sie haben mich damals vor mir selbst gerettet.” Meine Mutter hat einen siebten Sinn, Empathie, Feingefühl für Menschen. Sie hat’s wirklich drauf.

 

Jedesmal, wenn mich jemand als Powerfrau bezeichnet oder meint, dass ich die Dinge gut hinbekomme, fällt es mir schwer, das anzunehmen. Denn ich bin bei Weitem nicht so gut darin, wie meine Mutter. Und auch jetzt in Pandemie-Zeiten: Während ich gerne ihr und meinem Vater Gutes tun würde, sind sie vielmehr für uns da und meine Mutter sagt: “Kind, mach dir mal keine Gedanken um uns, wir kommen klar, uns geht es gut. Lerne du endlich, an dich selbst zu denken. Du brauchst Zeit für dich!” Es ist seltsam solche Worte von meiner Mutter zu hören, denn sie hat sich nie “Auszeiten” genommen. Ich habe meine Mutter immer als fleißige und verlässliche Frau erlebt, deren Hände so gut wie nie ruhten. Sie war und ist stets in Bewegung. Und obwohl ich ihre Ratschläge sehr schätze, musste ich diese Aufforderung zuerst noch von einer US-amerikanischen YouTuberin hören, die Karriere-Frau ist und mit ihrem zweiten Mann eine Patchworkfamilie von sechs (erwachsenen bzw. Teenager-)Kindern managt. “Du musst gut zu dir sein und für dich sorgen, nur dann hast du genug Kraft für deine Familie und alle, die dir wichtig sind”, sagt sie in einem Video, das ich zufällig sah, während ich mit Grippe im Bett lag und mich gerade vom hohen Fieber erholte. Eine wichtige Aussage, die man vielen Müttern immer wieder eintrichtern sollte. “Merken Sie sich eins: Sie können nicht allen gerecht werden”, versuchte mir bereits eine Hebamme am Tag nach der Geburt meines zweiten Kindes einzuimpfen. Sie blickte mir dabei tief in die Augen, als ob sie wüsste, dass ich exakt das vorhatte: Es allen recht machen. Haha, ein Ding der Unmöglichkeit! Das weiß eigentlich jede von uns, aber wir versuchen es trotzdem - bis der Körper streikt.

 

Wie haben meine Vorfahrinnen das alles gemacht? Den Begriff “Work-Life-Balance” gab es damals nicht. Auch Waschmaschine, Auto und Telefon hatten sie mitunter nicht und mussten überdies noch eine Menge selbst per Hand machen. Eigentlich hätten sie wesentlich gestresster sein müssen als wir heute, aber das ist ein anderes Thema. Ich denke, sie haben es teilweise besser verstanden auf den eigenen Körper zu hören. Meine Uroma hatte ihren Garten und die selbst angebauten Heilkräuter, aus denen sie Tees zubereitete - vielleicht war das ihr Ausgleich. Sie kannte sich mit Hausmittelchen aus und wusste, welche Pflanzen, wogegen halfen. Im Sommer war ihr Haus zudem voller Enkelkinder, die die gesamten Ferien bei ihr verbrachten. Auch das liebte sie - und meine Mutter schwärmt bis heute von ihrer Oma. Meine Oma hingegen hatte vermutlich gar keine Zeit zum Krafttanken. Und bei meiner Mutter? Ich weiß nur, dass sie gerne Musik hört, liest und einen grünen Daumen hat. Und natürlich ist da mein Vater, der sie unendlich liebt. Brauchen wir das nicht alle?

 

Es gibt den Spruch “Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau”, aber starken Frauen gibt wiederum ein sie liebender Mann Halt. Ich mache das gar nicht vom Geschlecht abhängig, denn egal, ob Mann oder Frau - wir alle brauchen jemanden, der uns liebt, für uns da ist - und für den auch wir da sein können. Da draußen gibt es aber unfassbar viele alleinerziehende Mütter (und Väter), die mehr Kraft aufwenden müssen als sie vermutlich haben. Manche wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen - und vielen Müttern steht Altersarmut bevor. Nichts davon ist fair. Das Leben ist nicht gerecht. Insofern ist die schwierige Situation, in der meine Oma einst steckte auch zu heutiger Zeit nicht abwegig. Es aushalten und alles selbst schaffen wollen - zum “Besten” der Familie oder, weil eine Trennung aus finanziellen Gründen pure Dummheit wäre. All das hat nicht zuletzt mit der unsinnigen Familien- und Bildungspolitik sowie Steuerregelungen zu tun, doch auch das ist ein Thema für sich.

Umso wichtiger ist es, sich an seine Vorfahren zu erinnern, die Erinnerungen weiterzugeben, aus ihnen zu lernen und sein Leben in die Hand zu nehmen. Ich bin dankbar für diese wundervollen Frauen in meiner Familie - nicht nur die längst verstorbenen, sondern auch diejenigen, die heute alle Herausforderungen meistern. Leidenschaftliche Mütter, starke Frauen. Und ich bin dankbar für meine Mutter, die mir heute noch mehr denn je Mut macht, beruflich meinen ungewöhnlichen Weg zu gehen. Sie gibt mir hin und wieder einen Ruck, wenn mich Selbstzweifel überkommen oder sie merkt, dass mich etwas belastet. Denn egal, ob man es ausspricht oder nicht, Mütter spüren, wenn etwas nicht stimmt und wissen meist intuitiv, was sie sagen oder tun müssen, um zu helfen. Ich kann nur hoffen, dass ich all das bei meinen Kindern wenigstens halb so gut hinbekomme wie sie.

 

“Deine Mutter ist so ein herzlicher Mensch!”, ist ein Satz, den ich unzählige Male von diversen Leuten zu hören bekommen habe. Stimmt, das ist sie. Um an sie zu denken, brauche ich keinen Muttertag, aber es ist schön, dass es diesen Ehrentag gibt. Für alle Mütter da draußen.