Das hier soll kein typischer Corona-Text werden, und doch komme ich nicht um das Thema herum. Immerhin ist das Virus der Auslöser für die Erfahrungen, die wir alle aktuell machen. Wenn man zueinander Abstand halten, keine Partys feiern oder mit den Nachbarn grillen, mitunter nicht einmal zur Arbeit oder zur Schule gehen darf und sämtliche Vereinstermine ausfallen, macht es etwas mit den Menschen. Was denken Sie, hat sich die zwischenmenschliche Kommunikation in der Corona-Krise verändert? Ich behaupte: Ja. Folgende Beobachtungen habe ich in den letzten Wochen gemacht.
Kommunikation in Partnerschaft, Familie und Nachbarschaft
- Ob in der Stadt oder im Dorf: Man rauft sich digital zusammen. Wer kann Mundmasken für die Gemeinschaft nähen? Wer ist ein guter Filmer und kennt sich mit YouTube aus, um die Gottesdienste streamen zu können? Wer geht für die alten Leute einkaufen? - All das und viel mehr wird in Chats, also digital, geklärt, um im realen Leben umgesetzt zu werden. Die Umsetzung dessen ist wiederum ebenfalls mal analog (Einkauf im Laden um die Ecke), mal digital (Live-Stream, Einkauf im Online-Shop des kleinen Buchladens, den man aktuell nicht betreten kann, etc.).
- Die Kommunikation innerhalb der Familien hat zugenommen. Familien schwingen sich auf Räder und machen zunehmend Ausflüge. Überall sieht man sie, viel häufiger als sonst. Einige spazieren, andere fahren auf Inlinern die Straße entlang. Gemeinsam. Ob draußen oder drinnen: Man kommt als Familie nicht aneinander vorbei und kommuniziert zwangsläufig mehr als zuvor. Man hat ja nur einander. Kinder dürfen nicht zu Freunden, Eltern ebensowenig.
- Es wird mehr und länger im Freien gesprochen. Viel häufiger als sonst bleiben Menschen auf dem Bürgersteig stehen und unterhalten sich mit einer weiteren Person. Mal mehr, mal weniger auf Entfernung. Wo sollen sie auch sonst reden? An manchen Tagen sehe ich alle paar Meter jeweils zwei Menschen in eine Konverstion vertieft am Straßenrand stehen.
- Gespräche haben an Intensität gewonnen. Dialoge von Balkon zu Balkon oder über den Gartenzaun scheinen länger geworden zu sein. Ihr Inhalt ist zudem gehaltvoller. Statt Smalltalk wird Tacheles gesprochen, aber freundlich. Auf ein “Wie geht es dir?” antwortet kaum jemand schlicht mit “Danke, gut”. Man tauscht sich über das Leben, die Gesundheit der Liebsten, die wirtschaftliche Lage und oft auch sehr ehrlich über die berufliche Situation aus. Ein “Ich werde vermutlich meinen Job verlieren und schaue mich daher nach Alternativen um” habe ich recht häufig zu hören bekommen.
- Ehen, die auf der Kippe standen, scheinen aktuell nahezu gekittet zu sein. “Wir haben erkannt, was wir aneinander haben” ist auch ein Satz, den ich häufiger gehört habe. Inwiefern die Kommunikation dabei eine Rolle spielt? Vielleicht geht man aufgrund der gefühlten Bedrohung liebevoller miteinander um. Die meisten Paare sind sich zum Thema Corona wahrscheinlich einig und da es sich hierbei um das aktuelle Topthema handelt, streiten sie wohl seltener als sonst. Auch haben diejenigen erkannt, dass sie als Alleinerziehende oder zumindest getrennt Lebende insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten finanziell deutlich schlechter dastünden.
- In manchen Partnerschaften spitzt die Coronakrise die Gegensätze zu und stellt die Beziehung auf eine harte Probe. Hier spielt die Kommunikation eine besonders große Rolle. Meinungsunterschiede können eskalieren, weil es immerhin um die Gesundheit geht und eine Gefährdung dieser im Raum steht. Es ist eine äußerst schwierige Situation, wenn einer von beiden die Maßnahmen hinterfragt, von “fehlender Evidenz” spricht und nicht bereit ist, sich an die auferlegten Regeln zu halten, während der andere Part dies für sinnvoll hält, rücksichtsvoll mit den Mitmenschen umgeht und lieber auf Nummer sicher gehen möchte. Man kann an dieser Stelle von einem existentiellen Thema sprechen, das scheinbar plötzlich für zwei Fronten sorgt. Ob es nach Corona vermehrt zu Scheidungen kommen wird? Jede Antwort darauf wäre pure Spekulation.
- Digitale Kommunikation wird als Segen wahrgenommen. Während man sich noch vor wenigen Wochen mit Freunden und Verwandten problemlos treffen konnte, findet heute die Kommunikation oft nur noch per Video-Telefonie statt. Ob Skype, Zoom oder andere Tools: Die Corona-Krise hat bewirkt, dass erwachsene Kinder ihren alten Eltern alles Notwendige installiert und erklärt haben, um ihnen diese Kommunikationswege bieten zu können.
Kommunikation “am Arbeitsplatz”
- Deutschland entdeckt, was hinter den Begriffen Digitalisierung und New Work stecken könnte. Nicht in den meisten, aber in vielen Berufen ist plötzlich Homeoffice möglich. Es wird spannend sein zu beobachten, ob die betreffenden Arbeitnehmer diese Erfahrungen als positiv und fortschrittlich oder als langfristig unangenehm und problematisch bewerten werden. Das kommt vermutlich nicht zuletzt darauf an, wie gut das jeweilige Unternehmen darauf vorbereitet war.
- Schulen befassen sich intensiver denn je mit den digitalen Möglichkeiten. Lehrer lassen ihren Schülern die Hausaufgaben per App zukommen, Schulkinder skypen mit ihrer Schulklasse und chatten mit den Lehrenden. Lehrer nutzen Chats, um mit der ganzen Klasse auf Englisch oder Französisch diskutieren und die Fähigkeiten ihrer Schüler prüfen zu können.
- Statt Live-Events gibt es nun mehr Webinare und digitale Community-Meetups. Auch die interne Kommunikation in Unternehmen erfolgt nahezu nur noch digital. In den meisten Fällen kommen insbesondere die Firmen damit zurecht, die schon vorher ein Homeoffice-Konzept und digitale Kommunikationsstrukturen aufgebaut und genutzt hatten.
- Plötzlich sprießen selbsternannte Digitalexperten und Coaches wie Pilze aus dem Boden. Sie kommunizieren in den sozialen Netzwerken nur noch zu diesem Thema und wissen sich ziemlich gut in Szene zu setzen. Ob sie tatsächlich kompetent sind, bleibt fraglich.
Medienkonsum
- Zeitungen werden wieder mehr gelesen, enthalten aber weniger Werbung und haben daher weniger Einnahmen. Gelesen wird mehr, weil die Menschen vermeintlich mehr Zeit haben und zum anderen wegen der Corona-Krise auf dem neusten Informationsstand sein möchten - nichts zuletzt wegen der wirtschaftlichen Situation. An Werbung fällt aktuell zum Beispiel der Reisesektor komplett weg. Nicht unproblematisch für beide Branchen. Betrachtet man es unter dem Aspekt der Kommunikation, so sind sowohl das Schreiben und Lesen als auch das Werben Formen dieser - eine spannende und ambivalente Entwicklung also, die beispielsweise Giovanni di Lorenzo im Gespräch mit Inka Schneider (Link) beschreibt.
- Podcasts gewinnen nun auch in Deutschland an Bedeutung. Allmählich erreichen sie auch diejenigen, die bis vor kurzem noch gar nichts mit diesem Begriff anzufangen wussten. Da der Bedarf vorhanden ist, sind zahlreiche Podcasts zusätzlich auf YouTube vertreten, um so tatsächlich möglichst jedem zugänglich zu sein.
- Mediale Inhalte werden miteinander geteilt und häufig noch schneller als sonst verbreitet. Klar, das trifft auf das Thema Corona zu. Online-Medien (Fachartikel, Podcastfolgen, YouTube-Videos, etc.) werden nicht nur digital weiterverlinkt, sondern auch im realen Leben mündlich weitererzählt, Familienmitgliedern laut vorgelesen und mit den Nachbarn besprochen. Umgekehrt werden Ereignisse (Grillparty mit 20 Personen) aus dem realen Alltag ins Netz getragen und dort in den sozialen Netzwerken (z.B. auf Twitter) heiß diskutiert. Das ist nicht erst seit der Coronakrise so, aber man erlebt es intensiver als zuvor, weil noch mehr Menschen mitmachen, nichts verpassen und gut informiert sein wollen. Einige möchten auch - so wie immer - unbedingt ihre Meinung zur Lage kundtun und möglichst viele Reaktionen dafür ernten. Täglich. Mindestens. Denn so oft liefern uns professionelle Medien die “noch aktuelleren” Inhalte.
Zum Schluss noch ein kleiner Punkt, der hier an mehreren Stellen deutlich wird: Die Bereitschaft zur "neuen" Kommunikation sowie eine damit verbundene Kreativität sind gestiegen. Auf dem Weg zur Antwort auf die Frage: Wie lässt sich auf Entfernung kommunizieren? Vor allem, wenn ein schnödes Telefonat nicht genügt, weil man mit anderen kooperieren und zusammenarbeiten muss, die Sehnsucht zu jemandem außerhalb des eigenen Haushalts groß ist oder man allein lebenden Menschen eine Freude bereiten möchte. Für viele von uns ist das alles kein Problem, weil wir beruflich schon lange die entsprechenden Tools nutzen, aber das trifft bei weitem nicht auf alle zu. Wie bereits erwähnt, versuchen nicht wenige der digital Aktiven zum Beispiel alten Menschen die digitale Kommunikation zu ermöglichen. Manche besorgen ihnen einen Laptop oder ein Smartphone und erklären wie das Nötigste funktioniert. Auch das Erklären kann auf Entfernung (remote) stattfinden. Per Fernwartung.
Zugleich entwickeln auch diejenigen, die zwar bereits ein wenig digital unterwegs waren, aber nicht wirklich über den eigenen Tellerrand schauen, sondern nur Altbewährtes nutzen wollten, plötzlich Interesse an neuen Formaten (Podcasts, TikTok-Videos, ....) und Wegen (Tools für interaktive Schulungen). Hinzu kommt, dass Enkelkinder kreativ werden und Videobotschaften oder Podcasts für ihre Großeltern aufnehmen. Auch Unternehmen, Schulen und all diejenigen, die die Digitalisierung unterschätzt oder rein negativ beäugt hatten, versuchen spontan neue Möglichkeiten der Kommunikation zu finden. Eine Schule entscheidet sich fürs Chatten, eine andere für den E-Mail-Kontakt zur Schülerschaft, aber vielerorts wird dies und jenes ausprobiert. Wer hätte das vor einigen Wochen gedacht? “Ausprobieren” galt fast als Fremdwort, denn man wollte nichts falsch machen. Nun nimmt man Fehler in Kauf, damit überhaupt noch etwas funktioniert. So lernt man. Aktuell lernen wir alle gemeinsam eine Menge. Im positiven und gewiss auch negativen Sinne. Die meisten Ergebnisse werden sich erst noch zeigen, aber eines steht fest: Aktuell ist die Akzeptanz des Digitalen größer denn je.
tl;dr: Sowohl unsere analoge als auch die digitale Kommunikation haben sich in der Corona-Krise verändert. Frau Digital und Herr Analog gehen Hand in Hand durchs Leben. Beide sind real.