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Wegen Netzüberlastung im Internet gelandet, oder: New York, New York

Die Kulturfritzen haben zu einer spannenden Blogparade aufgerufen: #meinweginsinternet. Wie war er denn, mein Weg ins Web? Heute bin ich digital sehr aktiv, gut vernetzt und blogge inzwischen fast ausschließlich für andere. Das ist mein Job. Diese Blogparade hat mich jedoch daran erinnert, dass ich mal wieder in eigener Sache bloggen sollte. Es gab nämlich ein Ereignis, dessen Auswirkungen mich bis heute beeinflussen und die mir einst einen ganz neuen Blick auf das Internet gewährten. Der Grundstein für meine digitale Kommunikation war gelegt.

Computer hatten mich schon früh interessiert. In den 1980ern sah ich meinen großen Cousins beim Spielen am Atari zu, später verfasste ich Texte auf meinem Amiga. Damals gab es noch keine Blogs und anfangs hatten wir nicht einmal Internet zu Hause. Als Studentin begann ich das Netz intensiv zu nutzen, doch weder umfangreiches Recherchieren für meine Hausarbeiten noch der Job als Hilfswissenschaftlerin offenbarten mir die weiten Sphären und unendlichen Möglichkeiten des World Wide Web. Um all das zu entdecken, musste ich in die USA reisen und DEN 11. September in der Nähe von New York erleben.

 

2001 war ich 21 Jahre alt und vertiefte mich gerade als Studentin in die Schriften von Luhmann, Habermas, Horkheimer und Adorno. Neben Germanistik-Seminaren wie „Literatur an den Grenzen des guten Geschmacks“ begeisterten mich Bücher wie „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger/Luckmann.

Alles absolut analog. Das Internet diente mir lediglich als zusätzliche Informationsquelle, digitale Kommunikation nutzte ich fast ausschließlich in Form von E-Mails. Das war’s. Wie sich das änderte? Alles begann auf der Geburtstagsparty eines Freundes.

 

Michael ließ auf der Party in seinem Studentenzimmer einen Flyer rundgehen, auf dem etwas von einer USA-Reise stand. Ein deutsch-amerikanisches Politikseminar. Wir studierten zusammen Politikwissenschaft, daher passte das thematisch sehr gut. Ich sah genauer hin: mehrere Wochen USA zu einem unschlagbaren Preis. Bei den Mitreisenden würde es sich um Studierende und Journalisten handeln. Wow! Wir würden Botschafter und andere spannende Leute kennenlernen. Unglaublich! Eine Zeit lang würden wir ein College besuchen. US-Sitcoms, ich komme! Und wir würden auch nach Kanada reisen. Perfekt! Wer hätte ahnen können, dass ein wichtiger Punkt unserer Reise anders verlaufen würde als geplant.

 

New York musste ausfallen. Was dort am 11.09.2001 geschehen ist, wisst Ihr sicher alle. Wir besuchten zu dem Zeitpunkt das College in Burlington und bekamen die Auswirkungen der Geschehnisse intensiv mit. Ich möchte das alles gar nicht näher beschreiben, sondern auf einen bestimmten Aspekt eingehen. Wir waren für unsere Familien in Deutschland nicht erreichbar. Das komplette Festnetz war überlastet und auch per Handy ging nichts mehr. Da aber für einen dieser Tage unser Ausflug nach New York geplant gewesen war, machten sich unsere Familien große Sorgen. Sie wussten nicht, dass wir den New York-Aufenthalt zuvor verschoben hatten und somit in Sicherheit waren. Der letzte Ausweg, um unsere Familien zu informieren, war daher die E-Mail. Auf die Seiten unserer Mail-Hoster kamen wir jedoch nicht. Und so wurden wir in diesen Tagen zu Experten unzähliger E-Mail-Anbieter. Manchmal mussten wir mehrmals pro Tag den Anbieter wechseln, um noch kostenlos Nachrichten abschicken zu können. Die Leitungen brannten, die Plattformen waren überbeansprucht. Nie zuvor und nie danach hatte ich so viele Accounts in so kurzer Zeit anlegen müssen. Ich sehe uns noch genau, wie wir abwechselnd an den PCs im Rechnerraum des Colleges sitzen. In dieser Zeit lernte ich viel. Durch den Umstand, dass die mir bis dato bekannten Websites nicht liefen, zeigten mir die Vielgereisten unter uns ganz neue Dinge und ich begann die Ausmaße des Internets zu ahnen, die Möglichkeiten und Gefahren. Es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, verändert nach Deutschland zurückgekehrt zu sein. Sowohl aufgrund der schlimmen Ereignisse als auch wegen des Internets.

 

Zum einen führte mich dieser Weg in die digitale Kommunikation, mit der ich mich seitdem intensiv befasse. Zum anderen bewirkte es, dass ich keine rosa Brille trage, sondern technischen Fortschritt genauer betrachte. Alles, was ich im Studium über Gesellschaft, Politik und Sprache gelernt habe, passt sehr gut zu digitalen Themen.

Zunächst lebte ich einen Teil meiner Gedanken als Bloggerin aus. Auf diese Weise kam ich zu spannenden Jobs und landete schließlich in der Selbstständigkeit. Ja, mein Weg ins Internet war indirekt auch mein Weg in die Expertise und in den Beruf. Mir ist bewusst, wie abhängig wir uns von der Digitalisierung machen und wie man dasteht, wenn im Notfall vieles oder gar nichts davon funktioniert. Wie wir verlernen, ohne Netz zurechtzukommen und wie wir uns der Technik ausliefern. Fortschritt ist gut, das Internet bietet wunderbare Möglichkeiten, die ich sehr gerne nutze. Ja, ich bin froh, im Web gelandet zu sein, aber das bedeutet nicht, dass mir hier alles gefällt.

Noch heute staune ich, wie einfach es mitunter ist, über Social Media Kontakt zu Menschen zu knüpfen, denen man früher niemals über den Weg gelaufen wäre. Leute aus den Medien, angesehene Persönlichkeiten – plötzlich chattet man mit ihnen, fragt nach einigen Informationen, die man zum Beispiel für einen Blogpost benötigt und bekommt diese problemlos zugemailt. Einfach so. Man nennt es Netzwerken. Das Internet ermöglicht es mir, mit Menschen im Ausland zu skypen, zu Hause auf dem Sofa oder im Coworking Space zu sitzen und mit Bloggerinnen, die in Berlin leben, an einem Text zu schreiben. Ganze Projekte lassen sich auf die Beine stellen, auch wenn die anderen Mitwirkenden irgendwo am Strand liegen oder im Zug nach Hamburg sitzen. Nun ja, vorausgesetzt sie haben gerade Empfang.

 

Meine Antworten auf die Fragen der Kulturfritzen:

  • Wann und wie war dein erster Kontakt mit dem Internet? Das muss irgendwann Anfang oder Mitte der 1990er gewesen sein, als ich Referate für die Schule verfassen musste.
  • Wie und wofür nützt du das Internet heute? Zum Arbeiten, für berufliche und private Kommunikation - rund um die Uhr. Und vor allem: sehr viel mobil.
  • Verwendest du Social Media? Ja, täglich. Etwa 2010 lernte ich durch das Bloggen Twitter kennen, später auch andere Netzwerke. Dabei habe ich auch Nerd-Plattformen wie Mastodon nicht ausgelassen. Doch insbesondere Twitter brachte mich zu vielen kulturellen Events. Tweet-ups führten mich durch Theater, das Beethovenfest in Bonn, das Druckhaus der Rhein-Zeitung, etc. Ich wurde oft damit beauftragt, aus Veranstaltungen live zu twittern - später kam  auch Instagram hinzu. Heute bin ich fast überall zu finden. Überwiegend beruflich.
  • Wie siehst du deine Rolle im digitalen Raum? Ist sie politisch? Das ist eine schwierige Frage. Aufgrund meines politikwissenschaftlichen Hintergrundes gehöre ich keiner Partei an und möchte Politik aus meinem digitalen Agieren eigentlich raushalten. Doch komplett unpolitisch kann man sich im Netz nicht bewegen. So ist allein schon die von mir mitgegründete Initiative Koblenz Digital indirekt ein Statement.
  • Wie hat sich das Internet und deine Rolle darin in den letzten Jahren verändert? Meine Rolle hat sich insofern verändert, als dass ich jetzt u. a. mit dem Bloggen Geld verdiene. Das jahrelange Netzwerken ergibt inzwischen Früchte und macht weiterhin Spaß.
  • Wie hat das Internet dein Offline-Leben verändert? Ich bin sehr froh, dass ich noch nicht Social-Media-affin war, als meine Kinder klein waren. Denn Social Media greift stark ins Leben ein. Vor allem Kinder benötigen die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern, doch das sehe ich bei den heute jungen Familien sehr selten. Der Blick zum Smartphone ist der Normalfall. Auch ich kann mich davon nicht komplett freisprechen und halte das daher für eine der Herausforderungen unserer Zeit: Wie gehen wir am besten mit den digitalen Möglichkeiten um? Wie können wir abschalten und noch das Hier und Jetzt bewusst wahrnehmen?
  • Könntest du dir ein Leben ohne Internet noch vorstellen? Nein.